Von Hans-Günter Fischer
Klassik: Geiger David Garrett ist in Mannheim auch im eher „ernsten“ Fach ein Unterhalter – und ein mindestens solider Musiker.

David Garett schafft es, gleichermaßen junge, eher klassikunerfahrene Menschen und traditionelle Musikliebhaber in seinen Konzerten zu versammeln.
© Manfred Rinderspacher
MANNHEIM. David Garrett kriegt sie alle: Die, die sowieso ins klassische Konzert gehen. Und die, die das zu anderen Gelegenheiten kaum je tun würden - die Jungen. Und er schont sie nicht mit diesem klassischen "Unplugged"-Programm im prall gefüllten Mozartsaal des Rosengartens (wo indessen trotzdem ein paar Plätze frei geblieben sind), vom Stadionrocker Garrett sind bloß noch die ausgefransten Stiefel übrig. Gleich am Anfang steht ein Schwergewicht des Violinsonaten-Repertoires: das A-Dur-Werk von César Franck. Ein Dokument des "Wagnerisme" in vier Sätzen, eine halbe Stunde konzentriertes Hören einfordernd. Und Garrett nimmt sich Zeit, taucht ein in diese doch schon ferne Welt des späten 19. Jahrhunderts und verschmelzt den Klang der Geige eng mit dem des sie begleitenden Klaviers - Julien Quentin bedient das Tasteninstrument. Es ist ein fast nostalgisches Vergnügen. Dazu passt das analoge und nicht allzu leise Grundrauschen der Klimaanlage, die vorne rechts im Mozartsaal-Parkett vernehmlich ihrer Arbeit nachgeht. Es erinnert an das Bandrauschen auf alten Schallplatten.

Die Franck-Sonate habe Garrett, wie er seinem Publikum in Mannheim sagt, zum ersten Mal mit 12 gehört. Isaac Stern stand damals auf dem Podium, was zu einer prägenden Erfahrung wurde und den Wunsch erzeugte, selbst ein Profimusiker zu werden. Garrett blickt an diesem Abend oft zurück. Er arbeite an einem Buch über sein Leben, sagt er. Schließlich ist er immerhin schon stolze 35, und ob er in 20 Jahren immer noch so populär sein wird, kann niemand sicher prophezeien. Das Programm des Mannheimer Konzerts sei wie der Soundtrack seiner Vita. Dieser Lebenslauf hatte auch harte Seiten, eine unbeschwerte Kindheit etwa hatten seine ehrgeizigen Eltern für ihr Wunderkind wohl eher nicht geplant, sonst aber einiges. Es sei viel "Disziplin" von ihm erwartet worden, sagt er, und man registriert, wie bitter dieses Wort ihm schmeckt. Sein alter Lehrer Zakhar Bron habe ihm neulich noch erklärt: "Mit strengen Eltern ist es schwer, doch ohne Eltern ganz unmöglich." Eine schlichte Lebensweisheit. Aber dennoch eine wahre.
Garrett wird in Mannheim freilich nicht zur Plaudertasche, sondern macht das sehr geschickt: Er redet immer wieder. Aber nie zu viel. Die zweite Hälfte des Konzerts ist ein fast reines Zugabenprogramm, den kleinen Zaubernummern eines Sarasate, Wieniawski oder Kreisler tun die Zwischenansagen des Geigers gut, es würde sonst an schwarzen Noten schlicht zu viel sein. Garretts Vorbilder beim Spiel heißen Yehudi Menuhin und Nathan Milstein, Itzhak Perlman - den er seinen "Freund und Lehrer" nennt - und Jascha Heifetz. Ganz erreichen kann er sie natürlich nicht, aber solide, wirkungssicher, manchmal gar berührend sind auch seine Fassungen der alten Hits gespielt. Er trifft den Wiener Charme von Kreisler und Tschaikowskys singulären Sinn für Melodien. Man spürt außerdem den Drang, Geschichten zu erzählen. Und eine gewisse Freiheit und Gelassenheit, die Garrett angeblich seinen Crossover-Auftritten verdankt. Da lerne man, hinter dem Beat zu bleiben, nicht zu früh die Flucht nach vorne anzutreten. Bei den Virtuosen-Nummern hilft es offenbar, etwa beim "Hummelflug" von Rimski-Korsakow. Der sei "ein kurzes Stück mit ganz, ganz vielen Noten". 13 pro Sekunde, um genau zu sein. Den Druck, fürs Guinness-Buch der schrägen Weltrekorde antreten zu müssen, scheint der Geiger trotzdem abgestreift zu haben. Für die Polonaise von Wieniawski wünscht er sich zwar noch einmal viel Glück. Aber er braucht es nicht.

In den gefühlvollen Piècen könnte Garrett mit den als Gefühlsverstärker eingesetzten Drückern noch ein bisschen mehr haushalten, doch auch hier spürt man den Willen zum Seriösen. Jascha Heifetz' Adaption von Stephen Fosters "Jeanie With The Light Brown Hair" klingt wehmütig, fast selbstvergessen. Doch es bleibt bei dieser einen "echten" Zugabe, und im November geht es wieder in die SAP Arena. Lange klassische Sonaten werden nicht auf dem Programm stehen, das können wir den jungen Hörern schon einmal versprechen.
Sonntag, 15.05.2016