Musik ist keine Religion
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Der Stargeiger begeistert ein großes, junges Publikum. Dafür wird er oft kritisiert. Ein Gespräch über Konventionen im Konzertsaal und die Grenzen zwischen Pop und Klassik VON BURKHARD SCHÄFER
ZEIT ONLINE: Herr Garrett, bieten sie auf ihrer Encore-Tour nun leichte Muse, um das Publikum von der allgemeinen Krisenstimmung abzulenken?
David Garrett: Nein. Dieses Crossover-Projekt war nur als Ergänzung zur Klassik gedacht. Den Erfolg sollte man mir jetzt nicht zum Vorwurf machen. Ich habe mich immer an Geigern orientiert, die wussten, dass man sich ein junges Publikum in der Klassik hart erarbeiten muss. Itzhak Perlman und Isaac Stern haben modernere Stücke interpretiert. Außerdem vergisst man mittlerweile, dass Jascha Heifetz Stücke mit Bing Crosby eingespielt hat. Vielleicht wurde ihnen das ebenfalls vorgeworfen, aber im Nachhinein waren sie große Künstler.
ZEIT ONLINE: Die Reaktionen der Feuilletons auf den ersten Teil Ihrer Klassik-Tournee mit der Pianistin Milana Chernyavska waren sehr zwiespältig. Hat Sie das überrascht?
Garrett: Ich habe damit gerechnet. Warum hat aber niemand darüber berichtet, dass die Konzerte ausverkauft und viele junge Leute da waren, die sich für die klassische Musik begeisterten? Das hat so bisher keiner ansatzweise geschafft. Außer vielleicht ein Leonard Bernstein. Dann ergibt es doch wirklich einen Sinn, was ich in den letzten Monaten aufgezogen habe.
ZEIT ONLINE: Lässt solche Kritik Sie also kalt?
Garrett: Man kann mich kritisieren, wie man will. Aber immer wird beklagt, dass keiner zu Klassikkonzerten kommt und die Musik ausstirbt. Wenn jemand Talent mitbringt und etwas dagegen tut, wird es aber ignoriert. Manchmal habe ich das Gefühl, einige wollen gar nicht, dass sich was ändert. Offiziell ist die Klientel der Klassikhörer immer sehr sozial, und es heißt: "Wir sind alle Menschen." Aber im Endeffekt wollen sie allein in ihrer Glaskugel bleiben. Niemand darf daran rütteln. Mir ist vor allem die Meinung der Menschen wichtig, die mir musikalisch etwas bedeuten: Ida Haendel, Itzhak Perlman oder Zubin Mehta. Sollten diese mir signalisieren, dass etwas nicht stimmt, würde mein Warnblinksystem sofort angehen.
ZEIT ONLINE: Sie wollen Kenner, Liebhaber und Fans unter einen Hut bringen. Geht das?
Garrett: Ich denke, das ist ein Kompromiss, der auf lange Sicht funktionieren wird. Der konservative Konzertbesucher muss seine Vorbehalte gegenüber der Jugend überwinden. Da besteht teilweise noch eine Abneigung, die ich überhaupt nicht verstehen kann. Die Jugend kann die klassische Musik genauso lieben wie die ältere Generation. Im Gegenzug verspreche ich, anspruchsvolle Stücke zu spielen und mich dementsprechend professionell auf der Bühne zu verhalten.
ZEIT ONLINE: Zwischenapplaus von Klassik-Neulingen stellt die Nerven von Klassikkennern und Künstlern auf die Probe ...
Garrett: Es war doch früher ganz normal, zwischen den Sätzen zu klatschen. Beim Jazz ist der Applaus nach einer Kadenz oder einem Instrumental-Solo selbstverständlich. Die heute vorherrschende Haltung, das gesamte Werk am Stück hören zu wollen, ist erst um etwa 1900 aufgekommen. Man darf nicht vergessen, dass Musik auch Unterhaltung ist. Ich finde, es darf keine stille Kunst sein. Musik ist keine Religion. Um sie zu genießen, braucht es keiner Andacht. Musik ist etwas Großartiges, man muss aber immer noch die Freiheit haben, sich zu ihr zu bewegen. Wer verkrampft im Konzertsaal sitzt, der kann seine Emotionen nicht wirklich ausleben. Wenn jemand klatschen will, bin ich der Letzte, der "psst" sagt . Das wäre ja unmenschlich.
ZEIT ONLINE: Sie haben die Konzertabende der Kammermusik-Tour mit der späten G-Dur-Sonate von Beethoven begonnen. Ist das nicht ein sehr problematischer Einstieg, insbesondere für Klassik-Neulinge?
Garrett: Gerade den jüngeren Zuhörern muss ich ein großes Kompliment machen. Ich wollte sie mit etwas Anspruchsvollem zum Zuhören zwingen, und sie haben sich unglaublich gut konzentriert. Ich finde, die G-Dur-Sonate ist eine der schönsten Violinsonaten. Ich wollte eine Mischung aus hochqualifizierter Musik, auf die man sich voll konzentrieren muss, und anspruchsvollen Stücken mit Unterhaltungswert, wie die Grieg-Sonate. Die ältere Generation denkt oft, die Jüngeren hätten keine Ahnung von Kultur. Aber wenn sich niemand die Mühe macht, ihnen das Verständnis dafür näher zu bringen, wird sich nie etwas daran ändern. Die Älteren sollten nicht vergessen, dass auch ihnen jemand geholfen hat, die klassische Musik zu verstehen.
ZEIT ONLINE: Wird sich das Programm in der zweiten Hälfte der Klassik-Tournee verändern?
Garrett: Die Werke von Grieg und Sarasate bleiben im Programm. Anstelle der späten Beethoven-Sonate gibt es die A-Dur-Violinsonate von César Franck und das Poème von Ernest Chausson zu hören. Es liegt nicht an den Kritiken, sondern daran, dass ich mal wieder etwas anderes spielen möchte. Routine ist in der Musik das Allerschlimmste, und das merken dann auch die Zuhörer.
ZEIT ONLINE: Viele der jungen Leute sehen Sie mittlerweile als Idol. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Garrett: Natürlich hat man als Künstler die Verantwortung, von seinem Erfolg etwas zurückzugeben. Es ist entsetzlich, wenn man sich einfach nur feiern lässt. Man muss versuchen, den Leuten, denen es schlecht geht, vom Erreichten ein Stück abzugeben. Ich bin jetzt erst einmal Unesco-Botschafter, werde mich aber in den nächsten Monaten noch für andere Sachen einsetzen, über die ich noch nicht sprechen möchte.
ZEIT ONLINE: Wie bewältigen Sie Ihr bis obenhin gefülltes Tagespensum?
Garrett: Ich arbeite sehr diszipliniert. Das sollen die jungen Leute ruhig sehen. Wenn du etwas erreichen willst, musst du knallhart dafür arbeiten und kämpfen ohne Ende. Diese Erfolgsgeschichten, aus dem Nichts heraus ganz nach oben zu kommen, führen zu falschen Vorstellungen. Es ist großartig, wenn es einmal passiert. Aber man darf jungen Menschen nicht suggerieren: Wir machen nichts und haben danach Erfolg. Das ist ein Trugschluss.
ZEIT ONLINE: Bringt der große Erfolg nicht ein hohes Maß an Fremdbestimmung mit sich?
Garrett: Diese Gefahr besteht, aber ich lasse es nicht zu. Wenn der Erfolg kommt, wollen plötzlich viele Leute etwas von einem. Man muss wissen, was man will. Und was man nicht will. Das ist noch viel wichtiger. Aufgrund meiner Erfahrungen aus der Kindheit achte ich sehr darauf, die Zügel in der Hand zu halten. Ich muss meine Entscheidungen immer mit meinem Gewissen vereinbaren können. Das ist die Konstante, an der ich festhalte.
ZEIT ONLINE: Manch einer vermutet hinter der Doppelkarriere – einerseits anspruchsvoll, andererseits sehr unterhaltsam – eine ausgefeilte Marketingstrategie ...
Garrett: Ich habe jahrelang die Plattenfirmen abgeklappert und versucht, die Leute für das Crossover-Projekt zu gewinnen. Von ausgeklügeltem Marketing kann hier deshalb überhaupt keine Rede sein. Das Marketing, das ich einmal miterlebt habe, war zu meiner Kinder- und Jugendzeit bei der Deutschen Grammophon. Da wurde mir gesagt: "Wir nehmen das auf, du ziehst das an, und sag gefälligst dieses und jenes im Interview." Bevor ich mir das wieder vorschreiben ließe, würde ich die Geige an den Nagel hängen!
ZEIT ONLINE: Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Garrett: Ich versuche, so authentisch wie möglich zu sein. Ich stehe mit dem Herzen hinter dem, was ich tue. Ein Grund, warum jetzt alles so gut funktioniert, ist sicherlich, dass die Leute sehen, welch großen Spaß ich momentan habe. Bei der Deutschen Grammophon hat das damals nicht richtig funktioniert, weil das Publikum mein Unwohlsein instinktiv spürte. Es fühlte, dass ich in ein Marketingkorsett geschnürt war. Das Schlimmste im Leben ist, wenn man sich verstellen muss – was ist das für ein erbärmliches Leben.
ZEIT ONLINE: Sie haben keine Berührungsängste und gehen selbst an Orte, die für Klassikmusiker eher ungewöhnlich sind. So waren Sie Laudator für den MTV Game Award.
Garrett: Ja, ich spielte das Super-Mario-Thema auf der Geige, das war witzig. Ich wurde von einem Beat Boxer begleitet, meine Idee. Es war ein Spaß für die Kids, die MTV anschauen. Da kann man doch keine Berührungsängste haben. Wenn jemand die Sendung sieht und dadurch anfängt, sich für die Geige zu interessieren, ist das doch fantastisch, oder?
ZEIT ONLINE: Das Album Encore zeigt mit vielen selbstgeschriebenen Stücken Ihre Experimentierfreudigkeit. Kommt bald eine CD von Ihnen heraus, auf der nur Eigenkompositionen zu hören sind?
Garrett: Komischerweise war das mein erster Gedanke auf der Juilliard School. Ich habe darüber nachgedacht, ein ganzes Album mit eigenen Stücken aufzunehmen. Die Musik auf Virtuoso und Encore ist sehr populär geschrieben. Kaum jemand weiß, dass ich 2003 den Kompositions-Wettbewerb der Juilliard School mit einer Fuge im Stil von Johann Sebastian Bach gewonnen habe. Ich glaube, ich hatte da eine Konkurrenz von tausend Leuten.
ZEIT ONLINE: Das klingt nach einem weiteren Standbein ...
Garrett: Ich habe glücklicherweise immer sehr viel Zuspruch von meinen Lehrern bekommen. Unter anderem auch von dem Komponisten Eric Ewazen, der einer meiner Kompositionslehrer war. Nach diesen Erfahrungen habe ich das Arrangieren und Schreiben von Stücken als eine tolle Sache empfunden. Am Anfang hatte ich Hemmungen, ob es klappt und die Leute es mögen, aber nun macht es mir Riesenspaß. Das ist ein Projekt, das ich unbedingt verfolge. Das kann auch in andere Musikrichtungen gehen. Auf solche Herausforderungen warte ich geduldig.
ZEIT ONLINE: Was wird Ihre nächste Klassik-CD?
Garrett: Als Nächstes spiele ich das Violinkonzert von Mendelssohn mit dem Deutschen Symphonieorchester und Andrew Litton ein. Diese CD kommt voraussichtlich im Herbst auf den Markt. Zusätzlich arrangiere ich Werke anderer Komponisten von der Klassik bis zur Romantik für Geige und Sinfonieorchester. Rachmaninov und Dvořák werden dabei sein. Je mehr Komponisten man mit einbezieht, desto lehrreicher wird es für die Zuhörer. Ich wollte eben alles ein bisschen anders aufziehen. Ich möchte einen Wirbelsturm entfachen und möglichst viele Menschen mitreißen.
Das Gespräch führte Burkhard Schäfer
Отредактировано Alina (07.10.2013 17:35)