Mit Brahms, ohne Hut: David Garrett und Partner Julien Quentin. Foto: Dakov
Wie ist das denn nun, wenn unser Lieblingsgastronom, der Koch unserer Herzen, statt den gewohnten leckeren Burger-Gerichten eines Tages nur aufwändige Menus auf der Speisekarte anbietet? Wir gehen natürlich hin, denn wir lieben ihn, so oder so. Kann jedoch sein, dass wir noch ein wenig fremdeln mit dem neuen Geschmack. Und den hohen Preisen…
Der Sternekoch heißt David Garrett und ist Geiger. Klassik-Granden wie Yehudi Menuhin und Claudio Abbado schwärmten einst von dem Wunderkind, Jahrgang 1980; doch das verwahrte sich irgendwann gegen die Gesetze des Betriebs, ließ sich in einen "Geigenrebellen" verwandeln und spielte sich hinein in die Crossover-Welt – und damit mitten in die Herzen eines Millionenpublikums. Jetzt ist der alte Rebellengeist neu erwacht. Garrett ist als Musiker viel zu intelligent, dass er nicht spürte, dass selbst der beste Hamburger, Tag für Tag aufgetischt, zum kulinarischen Super-GAU wird. Und so steht er jetzt im ausverkauften Freiburger Konzerthaus anlässlich seiner Tournee mit sämtlichen Violinsonaten von Johannes Brahms auf der Bühne und erzählt seinem Publikum, dass für ihn Kammermusik die persönlichste Art sei, Musik zu machen. Und dass die eigentlich gar nicht so sehr in den Konzertsaal gehöre, aber: "Ich hoffe, ihr habt trotzdem Spaß."
Haben wir Spaß? So manch aufgeschnappter Kommentar aus der Konzertpause deutet auf eine gewisse Ratlosigkeit hin. Aber dem Koch, seinem Koch, will man die Stange halten. David Garrett macht vieles richtig. Es ehrt ihn, dass er sich nicht um Markt und öffentliche Meinung schert, sondern um seine neue Mission: seine Fans mit etwas anderem vertraut zu machen. Und da die Zeiten sich geändert haben, stellt Garrett nicht mehr, wie vor über einem halben Jahrhundert, die berühmte Titelfrage aus Françoise Sagans Roman "Lieben Sie Brahms?". Garrett fragt artig, wer "von euch" schon mal was von Brahms gehört habe, lässt seinen zweckdienlich und quirlig agierenden Pianisten Julien Quentin ein wenig "Guten Abend, gut Nacht" spielen (tatsächlich auch von Brahms) und jeweils die Grundtonart der drei Violinsonaten zu Beginn anstimmen. Das Publikum staunt und klatscht artig zwischen jedem Satz. Irgendwie anders, aber…
Tja, aber. Es lohnt des Nachdenkens. Gewiss, man spürt die feine Kinderstube, die Virtuosität. Und Garrett ist es ernst, er liebt Brahms. Was seinen Interpretationen indes fehlt, ist die Linie, der große Bogen. Etwa wenn er im traumschönen langsamen Satz der A-Dur-Sonate die Andante-Blöcke zu sehr Ton für Ton bedient. Oder wenn er die d-Moll-Sonate zwar mit intensiver Leidenschaftlichkeit beginnt, aber die zentralen Töne allzu oft mit Portamento (Unsauberkeiten inklusive) angeht – also von Ton zu Ton nach Art eines Zigeunerprimas hinüberschleift. Notabene: Bei den mehr als alles andere umjubelten Zugaben – Brahms Ungarischem Tanz Nr. 5 oder den Gustostückerln eines Fritz Kreisler – passt das wiederum perfekt… Oder wenn er im ersten Satz der G-Dur-Sonate zu viel auf gesättigte Tongebung aus ist und gerade das Seitenthema darob seiner Leichtigkeit beraubt. Das alles sind keine Betriebsunfälle in Garretts Küche. Aber sie zeigen, dass die neue Linie auf seiner Menükarte noch einiger Verfeinerungen bedarf. Denn an Spitzenköchen mangelt es nicht. Gerade in der Kammermusik.