David Garrett bemüht sich redlich, aber eher vergeblich bei seinem Auftritt mit den Wiener Symphonikern, mit denen er das Violinkonzert von Johannes Brahms spielt.
Von Harald Eggebrecht
Am Anfang stand eine Krankmeldung: Für den angekündigten jungen finnischen Dirigenten Santtu-Matias Rouvali, Jahrgang 1985, sprang der noch vier Jahre jüngere Israeli Lahav Shani ein, der als Pianist und als Dirigent beginnt, sich einen Namen zu machen. Einer seiner Mentoren ist, man möchte sagen unübersehbar, Daniel Barenboim, so energiegeladen, aber auch differenziert agierte der auswendig dirigierende kleine Mann vor den Wiener Symphonikern, mit denen er auch schon das Programm in Wien absolviert hat.
Peter Tschaikowskys fünfte Symphonie boten die Wiener vor der Pause und danach das Brahms-Violinkonzert mit David Garrett als Solisten. Besser wäre es wohl umgekehrt gewesen, denn die "Fünfte" ist ein unwiderstehliches Finalstück in einem Konzert. Aber ein Superstar als Highlight des Abends ist ja auch nicht zu verachten. Außerdem kommt man so den Erwartungen des David-Garrett-Publikums entgegen, das am Ende seinen Liebling heftig feierte. Nach dem Helden hätte eine Symphonie wohl eher abtörnend gewirkt.
Dabei zeigte Lahav Shani bei Tschaikowsky, dass er das hocherfahrene, kultivierte Orchester nicht nur zusammenhalten konnte, sondern auch führen wollte. Die Einleitung des Kopfsatzes gehört zu den unvergesslichen Anfängen großer Orchestermusik. Da muss ein Dirigent jene Piano-Pianissimo-Dringlichkeit halten, die dann im Laufe der Symphonie in alle Richtungen des Dynamischen, Harmonischen, Klangcharakteristischen entfaltet und ausformuliert wird. Misslingt der Anfang, bleibt es bei stumpfen Klarinetten, dumpfen Bässen, matten Streichern, bei brav gegebenen Einsätzen, dann wirkt diese Einleitung nicht als Keimzelle der ganzen symphonischen Expedition, sondern nur als klammes Vorspiel. Doch Lahav Shani war höchst aufmerksam, vertraute ganz den Musikern und störte sie nicht beim allmählichen Spannungsaufbau dieser Introduktion. So entwickelte sich eine achtbare, nicht forcierte Darstellung des Stückes. Das Solohorn gab im langsamen Satz eine sanft leuchtende Vorstellung, und im Finale wurde nicht wild drauflos gelärmt. Nur der Walzer blieb blass. Manchmal ist Shani noch allzu gestikulationsfreudig, sticht unvermittelt ins Orchester oder rudert beidarmig über alles hin. Doch vermag er, sich auch wieder einzufangen.
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David Garrett trat dieses Mal als seriöser Solist auf, kein Barhocker, keine Plappermoderationen. Vielmehr machte sein Spiel wenigstens den Eindruck heißen Bemühens um das, was dieser im Knabenalter so ungewöhnlich begabte Geiger einst so leicht fand: den Zugang ins Innere der Musik. Der Solopart des Brahms-Violinkonzerts fordert jedem Geiger alles an physischer Kraft und psychischer Intensität ab, selbst wenn man wie Garrett nur für kurze Momente ins Wesen dieses Kosmos gelangt. Er war gut vorbereitet, leistet sich aber neuerdings eine dringend zu behebende schlechte Angewohnheit, nämlich die Abstriche unbewusst zu betonen, weil er gerade bei Bogenwechseln mit zu viel Gewicht auf dem Bogenfrosch ansetzt.
Das Kernproblem aber liegt in der mangelnden Konsequenz des Gestaltens, im Von-Einsatz-zu-Einsatz-Spielen. Deshalb reißen gut begonnene Phrasen plötzlich ab, verlieren ihre weiterführende Substanz, sodass nur Noten übrig bleiben. Also erklingt die hochdramatische Durchführung, an deren Höhepunkt die Violine sich in wilden Sprüngen gleichsam zu befreien sucht, nur wie eine bewältigte schwere Stelle. Das unvermittelte Abbrechen fand sogar in der Kadenz statt, sodass der Orchestereinsatz danach beiläufig wurde. Auch wird Garretts Klang in der Höhe eng und leuchtet nur sporadisch auf. Also geriet der langsame Satz zu einer Sammlung von Ansätzen, aber nicht zur Logik groß ausgezogener und durchgehaltener Linien. Es ist, als ob Garrett um die musikalische Landschaft herumspiele, ohne sie wirklich betreten, gar erforschen zu können. Dabei sucht er den Dialog mit dem hier allerdings allzu gleichförmig begleitenden Orchester, wendet sich ihm zu, als ahne er, wie wichtig es ist, den symphonischen Geist dieses mächtigen Konzerts zu wecken. Dennoch ergriff die Macht der Inspiration den Geiger kaum. Dazu gehört auch Garretts überraschend schmales Klangfarbenspektrum. Er war noch nie ein Mann greller Koloristik, sondern eher einer der Pastell- und Aquarelltöne, nur dass jetzt gewissermaßen die Farben allzu verwässert und daher allzu ähnlich scheinen. Selbst bei den Zugaben von Fritz Kreisler und der Sarabande aus Johann Sebastian Bachs h-moll-Partita zeigte Garrett keine neuen Farben. Mochte er bei Kreisler noch einen Hauch von Eleganz kreieren, so versuchte er es bei Bach mit Kraft. Wie gesagt, heißes Bemühen . . .