Wir müssen Klassik vor Arroganz retten
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Stargeiger David Garrett spricht über die Unart des Fluchens, das ewige Reisen und die Sehnsucht nach einer Beziehung.
Unter dem Künstlernamen David Garrett ist er ein Weltstar. Der Deutsch-Amerikaner David Bongartz, Jahrgang 1980, gehört zu den wenigen Weltgeigern, die Klassik und Unterhaltung gleichzeitig bedienen. Im Gespräch kann er wunderbar über seine eigenen Schwächen lachen.Welt Online: Herr Garrett , wir müssen einmal über Ihre schlabberige Auftritts-Jeans reden...
David Garrett: ...die finde ich gar nicht schlabberig. Gut, da ich immer unterwegs bin und meine Hose teilweise monatelang im Koffer liegt, ist sie manchmal schon ein bisschen zerknittert. Was mich persönlich nicht stört. Aber als schlabberig würde ich sie nun wirklich nicht bezeichnen.
Welt Online: Sind Jeans Ihre Lieblingsauftrittskleidung?
Garrett: Ich habe eine saisonal bedingte Auftrittskleidung, auch ein bisschen nach Stimmung. Aber auf der Tour ist es nicht so, dass ich mit fünf oder sechs Koffern reise. Ich habe für ein, zwei Monate Tournee nur einen Koffer dabei. Ich schleppe auch meine Sachen noch selber.
Welt Online: Haben Sie vor einem Konzert in der riesigen Waldbühne mehr Lampenfieber als in der Philharmonie, wo Sie im vergangenen Monat mit Beethoven zu hören waren?
Garrett: Nein, da gibt es keinen Unterschied. Ich glaube sogar, dass die Atmosphäre in einer großen Arena viel entspannter ist als in der Philharmonie. Openair haben die Leute richtig Bock drauf, unterhalten zu werden. In der Philharmonie ist es manchmal ein bisschen anstrengender.
Welt Online: Verstehen Sie sich überhaupt noch als klassischer Musiker?
Garrett: Absolut. Ich habe dieses Gerüst, dieses Fundament nie verlassen. Ich glaube auch, dass ich das alles auf dem Niveau nicht machen könnte, wenn ich kein klassischer Musiker wäre.
Welt Online: Orakeln Sie bitte: Welchem Musikstil oder welchem Komponisten gehört die Zukunft?
Garrett: Das kann man gar nicht generalisieren. Natürlich hat die Klassik einen Riesenvorsprung, weil sich dort über die Jahrhunderte hinweg abgefächert hat, wer wirklich eine zeitlose Musik komponiert hat.
Von heutigen Komponisten kann man das noch nicht behaupten. Wir wissen nicht, wer sich langfristig halten wird. Aber ich glaube, auf meinen CDs oder in meinen Programmen immer Musik zu spielen, bei der ich das Gefühl habe, dass sie nicht einfach nur in Mode ist, sondern ein langfristiges Potenzial hat.
Welt Online: Was sollte ein Geiger im Openair-Konzert keinesfalls tun?
Garrett: Hmmm? Keinesfalls sollte es anfangen zu regnen, weil dann die Regenschirme im Publikum aufklappen und ich mich unters Dach flüchten muss mit meiner empfindlichen Geige.
Welt Online: Wie jeder Upperclass-Geiger haben auch Sie eine millionenschwere Stradivari. Aber auf der spielen Sie doch nicht in der Waldbühne bei Sonne, Wind und sonst was?
Garrett: Nein, ich habe immer eine sehr gute Geige dabei, die ich für diese Konzerte benutze. In der Philharmonie habe ich natürlich die Stradivari benutzt. Für Openair-Konzerte ist es nicht notwendig, denn bei der Mikrophon-Verstärkung würde man den Unterschied gar nicht hören. Aber das Risiko für die Stradivari wäre zu groß, gerade bei diesen durchwachsenen Sommern.
Welt Online: Was darf ein Geiger im Konzertsaal keinesfalls tun?
Garrett: Ich glaube, da gibt es tausend Dinge. Ich rede ja gern in meinen Konzerten, aber ich bin kein Freund davon, dabei zu fluchen. Schließlich sitzen immer so viele Kinder drin. Diese Unart des Fluchens sieht man oft auch im Fernsehen. Aber jeder kann sich kraftvoll ausdrücken, auch ohne Kraftausdrücke zu benutzen.
Welt Online: Konzertveranstalter wollen uns seit Jahren glauben machen, dass Crossover-Konzerte wie eine Art Einstiegsdroge mehr jüngere Leute in die Konzertsäle bringen.
Garrett: Das ist so! Kommen Sie in meine Konzerte, da ist das gute Ergebnis zu sehen.
Welt Online: Aber Sie halten sich nicht für einen Retter der Klassik, oder doch?
Garrett: Die Klassik muss nicht gerettet werden, höchstens vor mancher Arroganz. Es geht nicht darum, sich als Retter zu fühlen, sondern Leidenschaften zu teilen.
Welt Online: Gibt es eigentlich so etwas wie einen Generationskonflikt unter Stargeigern?
Garrett: Nein! Jede Generation hat für ihre Zeit das Richtige gemacht. Das heißt für mich, dass ich mich nicht genau so wie frühere Geiger verhalten muss. Wenn man Musik spielt, die sich über Jahrhunderte erhalten hat, muss man sie zeitgemäß vermarkten. Viele junge klassische Künstler wissen, dass man zwar ein tolles Produkt hat, dem aber auch Gehör verschaffen muss. Heutzutage gibt es Internet und Fernsehen, es eröffnet wahnsinnig tolle Möglichkeiten, ein riesiges Publikum zu erreichen.
Welt Online: Irgendwie hat man den Eindruck, dass Sie permanent durch die Welt touren. Vergessen Sie schon manchmal, in welcher Stadt Sie gerade sind?
Garrett: Absolut. Jeden Tag.
Welt Online: Und was tun Sie dagegen?
Garrett: Ich lasse mir jedes Mal einen Zettel mit ganz großen Buchstaben auf mein Pult legen, damit ich bloß nicht die Stadt verwechsle. Meistens ist der Name der Stadt das einzige, was da drauf steht.
Welt Online: Was machen Sie zuerst, wenn Sie nach Berlin kommen. Gibt es Rituale, ein bestimmtes Restaurant, das Sie aufsuchen, oder einen guten Freund, den Sie zuerst anrufen?
Garrett: Nee, nicht so richtig. Sicherlich verbringe ich in Berlin mehr Zeit als anderswo in Deutschland. Aber ich habe hier kein Stammlokal. Vielleicht wird sich das in den nächsten zehn Jahren ergeben.
Welt Online: Was wird der Künstler, die Marke David Garrett denn in zehn Jahren machen?
Garrett: Ich weiß nicht einmal, was ich in einem Jahr machen werde. Ich bin kein Prophet, der sich selber verpflichtet. Keine Ahnung.
Welt Online: In den Konzerten ist es nicht zu übersehen, dass Sie ein Frauenschwarm sind. Die Frage muss sein: Wie steht es gerade um Ihr Liebesleben?
Garrett: Momentan ist es ein bisschen deprimierend. Ich weiß, dass es an der Zeit ist, sich um die Arbeit zu kümmern. Ich habe auch viel Spaß dabei. Aber es gibt den einen oder anderen Moment, wo ich lieber mit Begleitung durch die Gegend reisen würde. Ich bin nicht immun gegen Momente, wo man sich nach einer festen Beziehung sehnt.
Welt Online: Wenn Sie mehr freie Zeit hätten, was würden Sie dann unbedingt tun - hat David Garrett einen unerfüllten Traum?
Garrett: Zum Beispiel glaubt jeder, der mein Leben von außen betrachtet, ich habe den Luxus, die Welt kennenzulernen. Aber das ist gar nicht so, ich sehe vor Ort gar nichts. Ich würde schon gerne noch einmal reisen, aber dann mit der Perspektive auf die Städte und Länder und nicht auf die eigene Arbeit gerichtet. Jetzt lebe ich unter dem ständigen Druck, in fünf Minuten geht es weiter.