David Garrett: „Für mich hatte Musik nie Grenzen“

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17:11 08.05.2019
Kultur im Norden Interview

Geigenvirtuose und Rockstar zwischen Bach und AC/DC: David Garrett ist ein Musiker der Gegensätze. Er zieht Millionen von Fans an, wird gefeiert oder belächelt. Der 38-Jährige polarisiert wie kaum ein anderer klassischer Musiker. Mit den Lübecker Nachrichten sprach er über seine Kindheit, Zukunftspläne und die neue Tour.

Lübeck
David Garrett zieht Millionen von Fans an, wird gefeiert oder belächelt. Der 38-Jährige polarisiert wie kein anderer klassischer Musiker. In eine Schublade will sich der virtuose Geiger nicht stecken lassen. „Unlimited“ – ohne Grenzen – heißt demnach auch seine neue Tour, mit der er jetzt sein 10-jähriges Crossover-Jubliläum feiert.

Sie wurden unter anderem schon als „schrilles Beispiel eines genialen Geigers“ bezeichnet, ihre Musik auch als „Klassik-Junkfood“ abgetan. Verletzen Sie solche Äußerungen?

Ich nehme das natürlich wahr, aber es verletzt mich nicht, weil ich eine sehr gute Selbsteinschätzung habe. Ich habe mit den tollsten Orchestern Einspielungen gemacht und mit den größten Dirigenten gespielt und tue das auch immer noch regelmäßig – ob mit Riccardo Chailly in der Mailänder Scala, Zubin Mehta oder mit Claudio Abbado. Ich würde behaupten, das ist eine Referenz für das, was ich kann. Deswegen mache ich mir über diese Kommentare nicht zu viele Gedanken.

Mit Ihrer Musik erreichen Sie ein Millionenpublikum und Bevölkerungsgruppen, die ohne Sie der klassischen Musik wohl eher ferngeblieben wären. Eine Art Genugtuung?

Ich freue mich natürlich sehr darüber. Das ist ein Wunsch, den ich schon vor dreizehn Jahren hatte, als es mit der Crossover-Musik anfing. Dass sich das nun so in die Realität hat umsetzen lassen, ist unglaublich. Das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet.

Sie sind im nordrhein-westfälischen Aachen aufgewachsen und leben zurzeit in New York. Wo ist für Sie Heimat?

Ich habe eine Wohnung in Berlin und eine in New York und pendele zwischen beiden, je nachdem, wo wir gerade unterwegs sind. Das klingt jetzt plakativ, aber meine Heimat ist da, wo meine Freunde oder meine Familie sind. Das kann auch in einem Hotel in Timbuktu sein.

Sie erhielten mit drei Jahren den ersten Geigenunterricht von Ihrem Vater, einem Geigenauktionator und Geigenlehrer. War das Ihr eigener Wunsch?

Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ich bin ziemlich sicher, dass mein Papa ein bisschen initiiert hat, was ja auch völlig in Ordnung ist.

Mit zwölf hatten Sie den ersten Plattenvertrag in der Tasche und haben jeden Tag acht Stunden Geige geübt. Wie war das damals für Sie?

Es war keine leichte Zeit, das kann man sich ja vorstellen. Das war mit viel Disziplin verbunden. Und es war schwierig, die Schule nebenher zu machen. Aus heutiger Sicht hat sich aber alles gelohnt. Ohne diese Zeit wäre ich nicht die Person, die ich heute bin und hätte nicht die Möglichkeiten, die Leistung abzurufen, die ich brauche, um das zu machen, was ich machen möchte.

Wie lange üben Sie heute täglich?

Zwischen zwei und vier Stunden. Das ist ein gutes Pensum. Alles darüber hinaus ist kontraproduktiv.

Welches ist Ihre teuerste Geige?

Die teuerste ist die Stradivari, für mich hat sie einen unermesslichen emotionalen Wert. Dieses Instrument ist selbst für die Klassik ein wahnsinniger Luxus, über den ich mich sehr freue. So ein Instrument ist ja nur eine Leihgabe fürs Leben. Irgendwann spielt jemand anderes darauf und bis dahin behandle ich das Instrument so gut ich kann.

Für Ihre musikalische Ausbildung haben Sie Ihren Eltern zuliebe das Royal College of Music in London besucht, obwohl Sie eigentlich nach New York wollten.

Das war ein Kompromiss, das stimmt.

Sie haben in einem Interview gesagt: „Mir wurde immer alles aufoktroyiert. Was ich spielen sollte, wo ich auftreten sollte, was ich in Interviews sagen und nicht sagen sollte.“ Mit 19 Jahren haben Sie dann die Ausbildung abgebrochen und sind nach New York zu Ihrem Bruder gegangen. Eine Art Befreiungsschlag?

Seien wir doch mal ehrlich, wenn man bei seinen Eltern wohnt, werden die bis zum 18. Lebensjahr und darüber hinaus sagen: Räum dein Zimmer auf, mach dies, mach das. Völlig normal. Es ist ja nur natürlich, dass man irgendwann – egal ob man Geige spielt oder nicht – sein eigenes Leben so lebt, wie man möchte. Das war bei mir natürlich nicht anders. Nur war da die Musik im Vordergrund.

Sie haben in New York angefangen, Crossover-Musik zu machen und das Image des Geigenrebellen geschaffen. Haben Sie sich quasi noch mal neu erfunden?

Ich würde eher sagen, ich habe mich gefunden. Ich hatte schon immer Spaß an Crossover. Für mich war es aber auch immer wichtig, die Klassik beizubehalten. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nach der Crossover-Tour auch immer mit einer Klassik-Tour unterwegs gewesen bin. Das Zweigleisige ist wichtig, damit es authentisch ist. Meine Zielsetzung war es, Crossover zu machen und die Leute mitzunehmen, sich auch mal Mendelssohn oder Brahms anzuhören. Das ist mir über die Jahre gelungen und es ist das, worauf ich am meisten stolz bin.

Dieses 10-jährige Crossover-Jubiläum feiern Sie ab Mai mit Ihrer „Unlimited-Greatest Hits“-Tour, auf der Sie gemeinsam mit Ihrer Band und der Neuen Philharmonie Frankfurt 19 Konzerte in Deutschland, Österreich und der Schweiz spielen. Grenzenlos, das gilt für Sie ja auch musikalisch.

Ja, für mich hatte Musik nie Grenzen. Ich glaube, das merkt man auch (lacht). Klar ist Klassik immer noch ein Bestandteil. Aber ich versuche, all das zu spielen, was ich auch privat gerne höre. Ich glaube, wenn man ein Instrument spielt, soll und darf man auch zeitgemäß sein und seinen eigenen Geschmack ans Publikum herantragen.

Mit wem würden Sie gern noch mal auf der Bühne stehen?

Ach, da gibt es viele Leute, die ich toll finde – aus ganz verschiedenen Musikbereichen.

Aber konkrete Projekte gibt es noch nicht?

Ich habe viele konkrete Ideen, aber ich behalte auch viel für mich (lacht).

Worauf können sich die Fans bei Ihrer Liveshow freuen?

Wir haben mit einem 16-köpfigen Produktionsteam an einem neuen, sehr aufwendigen Showkonzept gebastelt. Ich wollte ein neues Team mit an Bord holen, das frische Ideen einbringt, und das ist wirklich toll gelungen. Für die visuelle Gestaltung der Musik werden viele neue Elemente einbezogen: Videotechnik, Live-Bild, Ideen aus Computerspielen – es ist ein sehr modernes Programm, das die Musik wunderbar unterstützt. Ich freue mich darauf, zu sehen, wie die Leute darauf reagieren.

Und musikalisch?

Es wird ein „Greatest Hits“-Programm der letzten zehn Jahre. Wir spielen viele meiner Lieblingssongs und haben auch ein paar brandneue Arrangements für die „Unlimited Live“-Tour geschrieben. Dazu spielen wir zum ersten Mal auch Stücke unplugged. Wir haben auch einige neue Stücke dabei und wunderbare musikalische Übergänge, für die wir viel Zeit im Studio verbracht haben, um mehrere Stücke optimal aneinanderzureihen. Ich freue mich sehr darauf.

Auch wenn bei Ihnen Musik die erste Geige spielt, gibt es trotzdem langfristig den Wunsch nach Familie und Kindern?

Momentan habe ich so viele Freunde und so ein tolles Team um mich herum. Mit Sicherheit irgendwann mal, aber zurzeit bin ich ganz gut beschäftigt (lacht).

Stefanie Büssing