Поездка на машине со звёздным скрипачом, говорящим о том, что каждый день он начинает с нуля.
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Голиаф? Нет: Давид. Дэвид Гарретт
Goliath? Nein: David. David Garrett
20 Oktober 2009
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Eine Autofahrt mit dem Star-Geiger, der von sich sagt, dass er jeden Tag bei Null anfangen muss.
Pirmasens, 11.00 Uhr, Hotel-Lobby. In der pfälzischen Stadt hatte David Garrett am Vorabend sein erstes in einer Reihe von drei Konzerten gegeben. Jetzt soll es weiter nach Bonn gehen, der nächsten Station seiner Klassik-Tour, doch der Meister lässt auf sich warten. “David schläft noch”, sagt sein Manager, gestern sei es mal wieder spät geworden. Man fahre erst in etwa einer Stunde. Gegen Viertel vor zwölf spaziert ein sichtlich übernächtigter David Garrett in die Lobby. Er grüßt mit einem herzlichen Händedruck und entschuldigt sich für seinen Jetlag und die damit verbundene Verspätung.
Er sei vor drei Tagen aus den USA angereist und habe die Zeitumstellung noch in den Knochen. “Eingeschlafen bin ich erst gegen sechs Uhr in der Früh.” Während der Manager das Gepäck im Auto verstaut und den Geigenkoffer auf die Rückbank legt, zahlt der Geigenvirtuose noch brav sein Zimmer und führt dabei Smalltalk mit dem Hotelbesitzer. Als er fertig ist und sich zum Gehen wendet, wird er vom Hotelchef nochmals zurückgerufen: “Vergessen Sie Ihren Hut nicht, Herr Garrett!”
David Garrett nimmt auf dem weit nach hinten geschobenen Beifahrersitz Platz. Vor uns liegen knapp drei Stunden Fahrt. Das Sonnenlicht sickert durchs Autofenster. Die Stimmung ist gelöst, der Wahl-New Yorker ist trotz seiner offensichtlichen Müdigkeit geistig hellwach, bestens gelaunt und eloquent. Normalerweise nutzt er die Fahrten zwischen den Städten auch dazu, den dringend erforderlichen Schlaf nachzuholen oder, wenn die Größe des Fahrzeugs es erlaubt, zum Geigespielen. Manchmal gebe er im Auto auch Interviews, doch dieses Mal habe das Management auf seinen Wunsch hin alle Anfragen abgeblockt. Nur für crescendo habe er eine Ausnahme gemacht, sagt er verschmitzt lächelnd und nimmt einen Schluck aus der Flasche mit Apfelschorle. Auf das Frühstück im Hotel hat er, wie fast immer, verzichtet.
Wir nähern uns der Autobahn, als der Manager das Wort ergreift: “Ich habe ausgerechnet, dass David Garrett im Mai jede 1,3. Nacht in einem anderen Hotel übernachtet hat. Für den Oktober ist eine Tour durch 24 amerikanische Städte geplant.” Raubbau an der Gesundheit scheint vorprogrammiert. “Man muss auf seinen Körper hören und Konsequenzen daraus ziehen”, sagt das ehemalige Wunderkind und spricht aus schmerzhafter Erfahrung, hat er sich doch in Teenager-Jahren einen Bandscheibenvorfall zugezogen, der schon damals auf körperliche Fehlhaltungen zurückzuführen war. Mit steigender Popularität und einem Übungspensum von sechs bis sieben Stunden täglich – die Konzerte nicht mit eingerechnet – muss der Stargeiger heute auf sich und seinen Körper selbst aufpassen. “Glücklicherweise habe ich gelernt, die körperlichen Alarmzeichen zu verstehen und auch mal Wünsche und Angebote abzuschlagen.” Dann wird David Garrett plötzlich sehr ernst, nimmt das Mikrophon meines Diktiergerätes in beide Hände und sagt fast ein bisschen feierlich: “Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich hier bei all denjenigen offiziell dafür zu entschuldigen, die auch mal ein Nein von mir zu hören bekommen. Bitte nehmt das nicht persönlich, aber ich kann einfach nicht mehr alles machen, was ich gern tun würde.”
Am Autobahnrastplatz Hunsrück-Ost legen wir eine Pause ein. Gelegenheit, im Shop ein paar Dinge einzukaufen. Garrett bleibt im Auto zurück. Er möchte nur ein Sandwich – “am liebsten Vollkornbrot” – auf keinen Fall Snacks, egal ob salzig oder süß. Das sei eine der wenigen Marotten, die er habe, gesteht er später auf der Weiterfahrt und fügt hinzu: “Die Hotels, in denen ich übernachte, wissen das und haben Anweisung, alles bis auf das Mineralwasser und die Saftschorlen aus meiner Minibar zu entfernen. Auch Backstage gilt Snack-Verbot.” Sonst könne es passieren, dass er über die Kalorienbomben herfalle, “und diese Art von Ernährung ist auf Dauer einfach nicht gesund.” Auch Medikamente, etwa zum Einschlafen oder gegen den Jetlag, lehnt er strikt ab. “Dann doch lieber wach liegen und wissen: Ich habe die Routine, auch unausgeschlafen meinen Part auf hohem Niveau spielen zu können.”
Zehn Minuten später geht es wieder auf die Autobahn, das Gespräch wendet sich dem Thema USA zu. Bislang hatte sich David Garrett immer gefreut, jenseits des großen Teiches zumindest etwas mehr Ruhe vor dem Job zu haben als in Deutschland, wo ihn mittlerweile fast jede(r) kennt. Aber seit es auch in den Staaten mit der Karriere steil bergauf geht, ist es damit bald vorbei. Trotzdem: “Ich könnte mir nicht vorstellen, nicht in New York zu wohnen” sagt er. “Es stört mich auch nicht, weder dort, noch in Deutschland, wenn Leute mich ansprechen. Das ist doch eher eine Motivation, es zeigt, dass man gute Arbeit geleistet und etwas bewegt hat.” Seine Art, solche Dinge auszusprechen, ist von einer entwaffnenden Offenheit und Sympathie. Kein Wunder, dass ihm auf der ganzen Welt die Herzen zufliegen. Sein ganzes Wesen ist völlig unaffektiert und ohne die geringste Spur von Eitelkeit und Arroganz. “Ich weiß, dass ich gut bin, ich weiß aber auch, was ich dafür leisten muss. Wenn du weißt, wie viel Arbeit hinter etwas steckt, kannst du gar nicht arrogant sein, weil dich dieses Wissen erdet.”
Fast könnte man meinen, David Garrett sei einfach der nette, begabte junge Mann von nebenan, wäre sie nicht deutlich zu spüren, diese Aura, die nur die ganz Großen umgibt. Und zu den ganz Großen gehört er zweifelsohne. Auch, wenn das konservative Feuilleton ihn hin und wieder zum geigenden Male-Model ohne Substanz und Zukunft degradieren möchte, das der hehren Klassik nichts zu bieten hat. Der Geiger nimmt es gelassen: “Von der Presse eine schlechte Kritik zu bekommen, ist nicht weiter tragisch, vor allem, wenn man von sich weiß, auf der Bühne eine gute Performance abgeliefert zu haben”, sagt er mit einem Achselzucken. “Das Schlimmste für einen Künstler ist, Erfolg zu haben, von der Bühne zu gehen, aber dabei mit seiner eigenen Leistung nicht zufrieden zu sein.” Und dass seine musikalischen Grenzüberschreitungen aber auch rein gar nichts mit hastig auf den Markt geworfener Massenware gemein haben, weiß er nur zu genau: “Man muss ein Weltklasse-Geiger sein, um eine gute Crossover-CD zu machen. Man muss sich sogar noch mehr herausfordern als in der Klassik, weil man den Leuten die Sachen in neuem Licht und auf höchstem geigerischem Niveau zu Gehör bringen will. Die großen Virtuosen von Paganini bis Heifetz haben es doch genau so gemacht. Alles andere ist stupid commercial.”
David Garrett beantwortet alle Fragen freimütig und ohne zu zögern. Nur als ich von ihm wissen möchte, ob er stolz auf sich ist, nimmt er erst einmal drei Schluck aus seiner Flasche, bevor er antwortet: “Manchmal gibt es nach einem Konzert so ein, zwei Sekunden, wo ich mir sage: das war gut.” Und wieder ist es fast mit Händen zu greifen, dieses Fluidum des genialen Geistes. “Ich kann mir nicht vorstellen, morgens aufzustehen und ein Selbstbewusstsein zu haben”, sagt der Star ernst und fügt hinzu: “Das muss ich immer wieder neu erarbeiten. Es ist absolut ernüchternd, jeden Morgen wieder bei Null anfangen zu müssen.” Das hätte auch der Leistungs-Ethiker Thomas Mann, David Garretts heimlicher Bruder im Geiste, sagen können, der sich sein Selbstbewusstsein täglich neu erschreiben musste und so zu einem der größten deutschen Sprachgenies wurde.