Von Alexandra Groth
RÜSSELSHEIM - „One moment in time“. Spätestens mit diesem Ohrwurm als letzte Zugabe hatte David Garrett am Mittwochabend die Herzen auch des letzten Zuschauers erobert. Der 36-jährige Stargeiger wusste es auch nur zu charmant, in dem zweistündigen Konzert die 10.000 Besucher in der dafür eigens bestuhlten Hessentagsarena zu bezirzen.
Wer bei Geige an klassische Musik denkt, ist bei Garrett falsch. Bei seinen Crossover-Konzerten erklingen zwar auch Klassikwerke, aber es geht mehr rockig als ruhig zu – gut so, angesichts der permanent landenden Flugzeuge. Coldplay, Michael Jackson oder Prince – er hat das gesamte Repertoire im Koffer. Seine fünf Mann starke Band tut ihr Übriges, um zu einem gelungenen Abend beizutragen. Garrett braucht kein Sinfonieorchester, sondern mit zwei E-Gitarren, Bass, Klavier und Schlagzeug lässt sich ebenso ein beeindruckendes musikalisches Gebilde erzeugen.
Ein Duell mit dem E-Gitarristen
Und die Technik hilft bei Bedarf auch, wie bei Coldplays „Viva la vida“. Bei diesem legt der 36-Jährige zunächst selbst den begleitenden Grundklang, den er dann quasi technisch auf Dauerschleife legt, um anschließend dazu die Melodie zu spielen. Bei „Let it go“ aus dem Disney-Film „Frozen“ wird es ruhiger und melodiöser, um direkt danach bei Led Zeppelins „Catch me“ das musikalische Duell mit dem E-Gitarristen aufzunehmen und mit „Ghostbusters“ das Publikum zum ersten Begeisterungssturm hinzureißen.
„Furios“ und „Adventure Island“ sind zwei Titel seines aktuellen Albums „Explosive“. Auf der Leinwand bekommen die Zuschauer dabei im Detail zu sehen, welch technischen Anspruch das Violinspiel erfordert. David Garrett vermittelt den gesamten Abend über eine große Leichtigkeit. Doch wer sich auch nur ansatzweise mit dem Instrument auskennt, beneidet dieses temporeiche und technisch perfekte Spiel, das sich ja nicht nur auf die Finger beschränkt, sondern vor allem eine exzellente Bogentechnik voraussetzt. Amüsant, dass auch ein Stargeiger während des Konzerts das Instrument nachstimmen muss. Die Leichtigkeit und die große Show lassen rasch vergessen, dass es sich bei der Geige um ein sensibles Instrument handelt – und zugleich äußerst wertvoll sein kann wie Garretts Stradivari, Baujahr 1716. Nur zweimal am Abend greift er zur E-Geige, die einen schneidenderen Sound erzeugt als die Holzversion.
Große Show mit Lichteffekten und Pyrotechnik
Schon nach der ersten Hälfte wird Garrett mit stehendem Applaus verabschiedet. Im zweiten Teil geht es dann umso rockiger weiter. Und gleich zweimal geht der Musiker durch die Publikumsreihen. Die Zuschauer recken die Hälse und die Handys – der den gesamten Abend über äußerst gut aufgelegte Violinist lächelt bereitwillig für zahlreiche Selfies, und spielt dabei weiter.
Es ist eine große Show, samt Lichteffekten und Pyrotechnik, die der Vollblutkünstler abliefert, bei der er aber äußerst authentisch rüberkommt und ehrlich bekennt, wie wichtig ihm sein Publikum ist. Nicht nur, wenn er von Situationen aus seinem Leben berichtet oder das Lieblingsstück seiner Mutter, „Midnight Walse“, spielt. Man merkt ihm den Spaß am Tun an und bekommt den Eindruck, dass er gar nicht nach Hause will.
Mit „Music“ von John Miles, der Hymne schlechthin, gibt es die erste große Zugabe – untermalt wieder einmal mit Pyrotechnik und Goldregen von der Bühne. Und mit „One moment in time“ von Whitney Houston hat man das Gefühl, es passt zu diesem wunderschönen lauen Sommerabend. Solch ein Erlebnis gibt es nur einmal – und in Rüsselsheim mit Sicherheit so schnell nicht wieder.