KKL ⋅ Stargeiger David Garrett spielte mit dem BBC Philharmonic Orchestra einen Konzertklassiker so persönlich wie die Zugabe. Und zeigte nebenbei, wie man Klassikrituale ohne Qualitätsverluste ganz natürlich auflockern kann.
19. März 2017, 09:43
Urs Mattenberger
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Zugaben werden in Konzerten immer wieder zu den heimlichen Höhepunkten, vor allem dann, wenn sich der Solist darin nochmals von einer ganz persönlichen Seite zeigt. Ein Paradebeispiel dafür bot am Sonntag der Auftritt von Star-Geiger David Garrett mit dem BBC Philharmonic im restlos ausverkauften Konzertsaal des KKL Luzern.
Da wirkte der Geiger, der mit Cross-over-Projekten, Hallenshows und Kinoauftritten («Paganini») enorm populär geworden ist, wie schon bei allen seinen bisherigen Auftritten in Luzern in einem konventionellen Sandwich-Programm mit: Zwischen einer Ouvertüre von Weber und Tschaikowskys vierter Sinfonie war Garrett Solist im Violinkonzert ebenfalls von Tschaikowsky.
Riesengitarre mit Special effects der Geige
Aber er bewies selbst in diesem Standardprogramm, dass er wie kein Zweiter «geigerische Qualität mit erfolgreicher Selbstvermarktung» kombinieren kann. So las man es im Programmheft des Veranstalters Migros-Kulturprozent-Classics, der diesen Event schweizweit exklusiv in Luzern durchführte. Das klingt ein bisschen wie Kommerzschelte. Aber als Garrett nach dem Solo-konzert endlich das Wort ergriff, wurde rasch klar: Hier bringt einer einfach ein Stück Normalität ins Konzertritual ein und macht klassische Musik damit weit über Insiderzirkel hinaus für ein breites Publikum zugänglich.
Am Sonntag tat er dies nach den üblichen Begrüssungsfloskeln zum Publikum im wunderbaren KKL-Konzertsaal – «einer meiner liebsten Säle in der Welt» – mit einem spielerischen Kunstexperiment. Der Reihe nach gab er den Streichergruppen des BBC Philharmonic Motive zum Zupfen vor, die sich schliesslich zu einer gigantischen, mechanisch abschnurrenden Gitarrenbegleitung zusammensetzten.
Dann setzte sich Garrett, wie in einem Privatkonzert unter Freunden, lässig aufs Dirigentenpodium und zauberte alle möglichen spieltechnischen Special Effects aus seiner Geige (Paganinis Variationen über die Melodie zum Hut mit den drei Ecken). So kunstvoll und zugleich unprätentiös können Klassikkonzerte sein: Der Saal tobte zu Recht. Und er tat es noch stärker als nach dem eigentlichen Bravourstück des Abends, Tschaikowskys Violinkonzert.
Sonderklasse an kunstvoller Spontaneität
Vielleicht lag es auch daran, dass Garrett da gerade nicht die bravouröse Solistenrolle herausstrich, sondern selbst in virtuosen Höhenflügen Coolness bewahrte. Das führte zu Beginn des ersten Satzes, in dem das Orchester begleitend zurücktritt, zu einem ganz partnerschaftlichen Musizieren zwischen dem Geiger und dem Orchester unter Juanio Mena. Wo dieses Tschaikowskys Herzensmusik zum gewaltigen Strom steigerte, hätte man sich freilich auch von der Geige mehr Farben und beherztere Attacken gewünscht.
Das folkloristisch inspirierte Finale bot dafür zwar eine ideale Spielwiese. Aber bis dahin hinterliess Garrett wiederum die persönlichsten Eindrücke, wo sich die Musik, wie in der Plauderstunde auf dem Dirigentenpult, ganz ins Private zurückzog: Wie Garrett im langsamen Satz die schlichten Melodien suchen, sprechen und singen liess und vielfältig unter die Orchestersoli mischte, war Sonderklasse an kunstvoller Spontaneität.
Bravour vom Orchester
Seinen ganz grossen Auftritt hatte das Orchester nach der Pause, als Juanio Mena auf dem Dirigentenpodium wieder unangefochten die Nummer eins des Orchesters war. Der prächtige, grossorchestral ausgereizte Sound, der zu Beginn in Webers «Euryanthe»-Ouvertüre noch etwas schwer gewirkt hatte, ermöglichte hier grosse Weltumarmungsgesten: Vom messerscharf artikulierten Bläserappell zu Beginn an ermöglichten hier unerschöpfliche Steigerungsreserven ein Hochspannungsmusizieren bis hin zum etwas lärmigen Finale. Ja, die Bravour war an diesem Abend Sache des Orchesters.