FESTIVAL STRINGS 25 000 besuchten die Tournee der Strings mit David Garrett: Der mit Cross-over bekannt gewordene Stargeiger überzeugte im KKL fast ohne Show.
Ein Totenkopf am Fingerring des Geigers im Violinkonzert von Brahms? Schon die Fotos im Programmheft zeigten am Montag im KKL, dass die Festival Strings mit David Garrett neue Wege gingen. Da sieht man den Geiger als pianistischen Musterknaben auf dem CD-Cover mit seinen jetzt veröffentlichten Aufnahmen als damals 14-jähriges Wunderkind. Fotos mit Dreitagebart und wilder Mähne geben Garrett das Image, das zu den Pop-Projekten und Cross-over-Shows passte, die ihn bei einem jungen Publikum bekannt gemacht haben.
Ganz anders, die Haare zum gepflegten Rossschwanz gebündelt, zeigen ihn aktuelle Bilder, seit Garrett sich auf seine Anfänge besann und als ernsthafter Klassikgeiger etablierte. Zum Beispiel mit Tourneen mit klassischen Orchestern wie jetzt den Festival Strings Lucerne, die sich ebenfalls ganz anders, nämlich in sinfonischer Besetzung mit 60 Musikern, präsentierten.
Ein Geniesser mit der Geige
Ein Musterbeispiel für effizientes Marketing also. Der Konzertsaal war am Montag bis auf den letzten Platz rappelvoll. Und dass von der Zusammenarbeit beide Seiten profitierten, bestätigte der Auftritt selbst.
Die erste Voraussetzung dafür war, dass Garrett tatsächlich toll Geige spielen kann. Er bewies es nicht nur in den Doppelgriff-Flageoletten und anderen geigerischen Akrobatenkunststücken von Paganinis «La Campanella». Garrett verhalf auch den lyrischen Passagen von Bruchs Violinkonzert zu geniesserischer Intensität und verzichtete weitgehend auf emotionale Bremser und Drücker. Ein Auftritt ohne Showgebaren also, der nicht den Eindruck hinterliess, der Geiger sei erst im tänzerisch sprühenden Schlusssatz in seinem Element.
Das bestätigte sich in Brahms’ Violinkonzert. Allenfalls in der swingenden Kadenz spürte man da andere stilistische Vorlieben. Ansonsten war auch dies Romantik pur, mit einem Ton, der zwar in der Farbe etwas gleichförmig blieb, aber emotionalen Hochdruck mit der entspannten Leichtigkeit verband, die auch Garrets Spielhaltung – lässig an eine Art Barhocker gelehnt – zum Ausdruck brachte. Und wie er grossen Bögen auch eine bis zum Stammeln gesteigerte Klangrede gegenüberstellte, hinterliess starke persönliche Eindrücke.
Grossauftritt für das Orchester
Mindestens so spannend war aus Luzerner Sicht der Auftritt der Festival Strings selber. Sie bewiesen unter der Leitung von Adrian Prabava schon mit Glinkas virtuos auftrumpfender Ouvertüre «Ruslan und Ljudmila» sinfonisches Potenzial. Allerdings wurden die namentlich bei Brahms hörbaren kammermusikalischen Qualitäten zurückgedrängt durch den Hang, in Fortissimostellen hart und forciert aufzutrumpfen.
Keine Frage: Ein Musiker wie Garrett kann dem Klassikbetrieb ein Publikum erschliessen, das «sonst nicht in klassische Konzerte» geht, wie Besucherstatements bestätigten. So hatten die Strings auf ihrer Deutschland-Tournee in zehn Konzerten 25 000 Besucher. Die 7600 Besucher im einzigen Konzert in einem Stadion (in Halle) waren klar bisheriger «Rekordbesuch für die Strings. Das ist für uns eine gigantische und ganz neue Dimension», sagt Orchester-Manager Hans Christoph Mauruschat.
Werbung für die Strings und Luzern
Wie war dieses Engagement überhaupt zu Stande gekommen? Das Orchester hatte bei Garretts Management Interesse an einer solchen Tournee signalisiert, weil es «als freies Tournee-orchester die Voraussetzungen mitbringt», sagt Mauruschat: «Weder das Luzerner Sinfonieorchester noch das Lucerne Festival mit seinen Ensembles könnten während der Saison ein solches Engagement wahrnehmen.»
Für Mauruschat ist das ein Beispiel, wie die Strings den Namen Luzerns breitenwirksam in die Welt hinaustragen können, auch jenen des Lucerne Festivals. Da nämlich sammelt das Orchester regelmässig Erfahrungen mit einer grossen Besetzung, als Orchester in den Meisterkursen von Bernard Haitink: «Jetzt hatten wir Gelegenheit, in dieser hier nur leicht verstärkten Grossbesetzung öffentliche Konzerte zu geben.»
Klischees weggewischt
Standard für die weiteren Strings-Konzerte wird das keineswegs. Trotzdem könnte man von den Erfahrungen mit der Garrett-Tournee einiges mit in den Alltag nehmen. Zum Beispiel die Plaudereien des Geigers, der das Mikrofon so selbstverständlich zur Hand nahm wie die Geige. Klar, die Geschichte von der Zugfahrt im ICE, bei der der Lokomotivführer den übenden Geiger fast aus dem Zug warf, schuf keinen Zugang zu Brahms’ Violinkonzert. Aber sie dürfte den Solisten oben auf der Bühne vielen noch näher gebracht haben. Elitäre Klassik? So wenig braucht es, um solche Klischee hinwegzuwischen.
Hinweis
CD. David Garrett 14 (Deutsche Grammophon)
Nächstes Konzert der Strings im KKL Luzern: 16. Juni, 11 Uhr, mit dem Geiger Renaud Capuçon und Werken von Bach, Schostakowitsch und Tschaikowsky. wwwfestivalstringslucerne.org
Urs Mattenberger