David Garrett in seinem Wohnzimmer auf Mallorca. Hier lebt und arbeitet der Musiker einen Teil des Jahres. Aktuell probt er mehrere Stunden täglich
Foto: Sascha Baumann / all4foto.de
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Artikelvon: JORIN VERGESveröffentlicht am
08.10.2021 - 10:27 Uhr
Mallorca – Vor dem ersten Kaffee greift er schon zur Geige. BILD trifft David Garrett (41) in seinem Haus auf Mallorca.
Hier bereitet sich der Weltstar auf seine Tour (verschoben auf September/Oktober 2022) vor. Er schreibt Texte. Komponiert. Arbeitet an der Feinmotorik. Für BILD hört und spielt Garrett die 10. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, die mithilfe künstlicher Intelligenz vollendet wurde und morgen Uraufführung feiert (siehe Kasten unten).
BILD: Herr Garrett, die 10. Sinfonie von Beethoven wurde vollendet. Was hat die künstliche Intelligenz mit dem Stück gemacht?
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Garrett: „Ein spannendes Projekt, das Türen öffnet und auf seine Weise sicherlich die Musik von Beethoven einem interessierten, jungen Publikum näherbringt. Ich glaube aber auch, dass es erst der Anfang einer Liebe zu Beethoven sein kann. Die Idee, einen Computer mit gewissen kleinen Dingen zu füttern, um etwas Großes zu erschaffen, ist durchaus spannend.“
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BILD: Haben Sie jemals gedacht, dass Sie diese Sinfonie hören werden?
Garrett: „Nein, natürlich nicht. Und ein Stück weit macht es mir auch Angst. Ohne Computer würde mein Leben nicht funktionieren. Ich schreibe Musik am liebsten am Computer. Aber es braucht das menschliche Gehirn, um Kunst zu schaffen.“
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Foto: Getty Images
BILD: Inwiefern?
Garrett: „Was eine Komposition ausmacht, ist der Werdegang. Das Revidieren. Beethoven hat sich selbst korrigiert, alles verworfen. Dieses Verwürfnis, dieses menschliche Nicht-zufrieden-zu-Sein – das kann ein Computer nicht. Warum ich das Projekt so toll finde: Auf der einen Seite schafft es einen interessanten Ansatz zu Beethovens Musik, zum anderen zeigt es aber auch, dass der Mensch mit seiner Zerbrechlichkeit unnachahmlich ist in seinem Schaffen.“
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David Garrett spielt die 10. Sinfonie von Beethoven
01:24
Quelle: BILD
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BILD: Welche Bedeutung hat Beethoven für Sie?
Garrett: „Seine Sinfonien, Klaviersonaten und Geigensonaten haben mich früh begleitet. Ich erinnere mich, dass ich mit fünf Jahren die F-Dur-Romanze bei ‚Jugend musiziert’ gespielt habe. Das erste Stück, das ich spielen durfte. Beethovens Violinen-Konzert, das ist die Königsdisziplin. Aber man muss sich herantasten. Beethoven ist Revolution, Kampf, innerer Zwiespalt und Selbstzweifel in seiner reinsten Form. Beethoven ist die große Kunst, sie braucht Trauer, Freude, Schmerz, Verzweiflung. Das Zerbrechliche zu zeigen, die Qualen, die Angst, die Freude, die Befürchtungen. Ich habe alle Sinfonien bestimmt 50-mal in meinem Leben durchgehört.“
BILD: Wie sehen Selbstzweifel bei Ihnen aus?
Garrett: „Mein ganzer Kopf dreht sich von morgens bis in die Nacht um die Arbeit. Um Nuancen, die ich verbessern möchte. Wenn ich die Geige aus der Hand lege, arbeitet es in mir weiter. Sogar im Schlaf. Es ist immer dieser Anspruch da, es noch ein bisschen besser zu machen. Die Vergänglichkeit, die Selbstzweifel, die uns antreiben durch die Endlichkeit des Lebens – das spiegelt große Musik wider. Ein Computer würde nie an sich selbst zweifeln.“
BILD: Machen diese Zweifel Sie besser?
Garrett: „Mit der Lebenserfahrung, die man auch außerhalb der Musik mit einbeziehen kann, kann man einer Note eine Atmosphäre geben, Trauer und Freude. Je älter man wird, desto mehr Erfahrungen hat man. Daraus kann man schöpfen. Ich habe viele Höhen erlebt, aber natürlich prägen die Tiefen einen intensiver. In Beethovens zehnter und letzter Violinen-Sonate gibt es einen wunderschönen 2. Satz. Er beginnt mit einem traumhaften Klaviersolo und später im Satz wiederholt die Geige dieses Thema. Da ist Hoffnung drin, aber auch Schmerz und diesen Schmerz musst du spüren. Das braucht Lebenserfahrung, das kann man nicht mit 10 Jahren fühlen.“
BILD: Sind Sie heute an dem Punkt, an dem Sie selbst sein wollen?
Garrett: „Man ist eigentlich nie an dem Punkt, an dem man sein möchte. Und wenn man das Gefühl hat, an dem Punkt zu sein, wo man sein sollte, dann verlierst du den Blick für die Zukunft. Dann wird man faul.“
Das Besondere an Beethovens Musik
Salzburg – Beethovens 10. Sinfonie war unvollendet. Bis morgen. Denn eine künstliche Intelligenz hat Fragmente und Notizen des Meisters analysiert, die Partitur vollendet. Dafür stellte die Deutsche Telekom ein Team internationaler Experten zusammen.
Hören können Sie das Ergebnis morgen (Samstag) live im Internet (magenta-musik-360.de) ab 18.55 Uhr.
Musik-Experte Matthias Röder (44), Leiter des Karajan Instituts in Salzburg erklärt das Genie Beethoven.
► Der Komponist hat die Musik immer wieder neu erfunden. Die jetzt vollendete 10. Sinfonie hört sich ganz anders an als die 9. Sie ist auf die ganze Welt bezogen, mit starken Höhen und Tiefen. Die 10. ist exakt das Gegenstück, spirituell, auf Gott bezogen, sehr innig.
► Er hat Dinge miteinander kombiniert, die keiner vorher miteinander kombiniert hat, z. B. hat er in einer Sinfonie plötzlich Opernmusik einfließen lassen. Er hat also die verschiedenen Gattungen der Musik, die nicht zusammenpassen, vermischt.
► Beethoven schafft es, mit einer einzigen Idee, also mit einem Motiv, ein ganzes Stück zu schreiben, z. B. die weltberühmte 5. Sinfonie (Da-da-da-DAA!).
► Und ganz wichtig: Beethoven hat seine bekanntesten Werke geschrieben, als er auf beiden Ohren taub war. Forscher gehen davon aus, dass er so radikaler und freier sein konnte, weil er keine Rücksicht auf Konventionen nehmen musste. (kl)