David Garrett, Grenzgänger mit Geige
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Дэвид Гэрретт, переходящий границы музыкант со скрипкой
Fans feiern ihn als „Jimi Hendrix der Geige“. Im Mai geht er mit Band und Neuer Philharmonie Frankfurt auf Crossover-Tour.
Von Olaf Neumann
BERLIN.Mir ist so eine Art Wagnersches Gesamtkunstwerk sehr wichtig“, sagten Sie kürzlich in einem Interview anlässlich Ihrer Tour „Unlimited Greatest Hits Live“. Wie muss man sich die neue Show vorstellen?Das Konzept des Gesamtkunstwerks ist ja, dass nicht nur die Musik das Publikum begeistert, sondern dass man auch versucht, eine Fantasiewelt zu erschaffen, die die Zuschauer aus dem Alltag reißt. Gerade bei den Crossover-Shows habe ich die Möglichkeit, mit Videocontent und Effekten die Musik zusätzlich leben zu lassen. Ich finde den Begriff „Gesamtkunstwerk“ dafür sehr passend, wenn man sich einmal überlegt, dass Wagner sich damals sogar ein eigenes Theater hat bauen lassen, um die optimale Konstellation zwischen Bühnenbild und Musik zu schaffen. Diese Möglichkeit habe ich auch mit meiner Bühne, die für jede Tour neu konstruiert wird.
Sie nehmen also Ihr eigenes Theater mit auf Tour?
Richtig, für die jeweilige Tour speziell angedacht und überlegt. Wir haben ein Jahr an der neuen Show gearbeitet, aber ich bin in der Zeit auch im Ausland auf Tour gewesen. Während der Tour haben wir parallel die „Unlimited“-Show entwickelt. Dieser Austausch brauchte über ein Jahr Zeit, um ein wirklich tolles Ergebnis hinzubekommen.
Sie versprechen eine innovative Optik, inspiriert von Computerspielen und 3-D-Hollywoodfilmen. Wie kamen Sie darauf, bei Ihrer neuen Show die so genannte Notch-Technik anzuwenden?
Ich bin kein Computer-Nerd, aber die Welt entwickelt sich immer weiter und man sollte nicht stehen bleiben. Mir macht es viel Freude, neue Ansätze zu entdecken. Auch nach zehn Jahren in den größten Hallen in Deutschland habe ich noch den Anspruch, das Publikum zu überraschen – und zwar nicht nur musikalisch.
Wie gut kennen Sie sich mit Computern aus?
Gut genug, um damit umzugehen. (lacht) Ich verbringe viel Zeit in Autos und Flugzeugen. Ich kann ja nicht im Flieger die Geige auspacken und spielen, ich habe schließlich keine Privatmaschine. Kommunikation ist heutzutage alles. Mein Drummer und mein Bassist leben in den USA, mein musikalischer Direktor in Holland, der Arrangeur John Haywood, mit dem ich auch viel schreibe, sitzt in London. Ich arbeite praktisch die ganze Zeit über FaceTime Video oder Audio mit allen.
Wie und wo proben Sie?
Über Skype schreiben und arrangieren wir viel, aber jeder von uns kennt seinen Part. Ich kenne meine Band und das Orchester seit vielen Jahren. Sie sind immer sehr gut vorbereitet. Bei den Proben geht es hauptsächlich um das eigentliche musikalische Zusammenspiel und das Timing der Show. Das Wichtigste ist, dass alles ineinander übergreift.
Bringen technische Innovationen wie die Notch-Technik die Musik voran?
Es geht dabei um eine Unterstützung der Musik, um ein Konzerterlebnis. Wenn ich in der Philharmonie Brahms spiele, brauche ich natürlich nichts anderes als die Musik. Aber wenn ich bei meinen Crossover-Projekten die Möglichkeit habe, etwas über die Musik hinaus künstlerisch zu gestalten, nehme ich das gern in Anspruch.
Wie verbinden Sie die visuellen Spezialeffekte mit der Musik?
Ich arbeite immer mit Assoziationen. „In The Air Tonight“ von Phil Collins zum Beispiel assoziiere ich mit einem Sternenhimmel. Das Stück hat eine ganz spezielle Atmosphäre, man kann es nicht so richtig festhalten. Darüber spreche ich dann mit unserer Regisseurin Andreana Clemenz. Assoziationen, Bauchgefühl und Instinkt sind für einen Musiker das Allerwichtigste - neben dem Wissen, wie eine Komposition aufgebaut ist.
Und was assoziieren Sie mit „Thunderstruck“ von AC/DC?
Meine erste Assoziation bei diesem Stück war Unwetter. Etwas Großes mit viel Energie. Da ist Interaktion.
Kennen Sie als Musiker keine Berührungsängste?
Berührungsängste sollte man immer haben, weil das der Respekt vor der Musik verlangt. Dann allerdings versuche ich mich so sehr in eine Komposition hineinzuarbeiten, dass ich keine Hemmungen mehr habe, sie auch gut hinzubekommen. Ich habe zum Beispiel keine Angst, bei Beethoven etwas Neues, Zeitgemäßes zu kreieren.
Yehudi Menuhin bezeichnete Sie einst als größten Geiger Ihrer Generation. Sind Ihnen die Songs von AC/DC nicht zu banal?
Nein, gerade deswegen! Yehudi Menuhin hat selber unheimlich viele musikalische Abenteuer in Angriff genommen, ob Gypsy-, Klezmer- oder Filmmusik. Jascha Heifetz, eines meiner Geigen-Idole, hat unter anderem Namen ein Musical geschrieben. Itzhak Perlman, mit dem ich gearbeitet habe, schrieb auch Filmmusik. Solche Interaktionen liebt man als kreativer Künstler. Das ist wie ein musikalischer Urlaub. Die Klassik ist natürlich mein Zuhause, aber ich verbringe ja keine 365 Tage im Jahr in meiner Wohnung. Ich muss manchmal auch reisen.
Wollen Sie „Thunderstruck“ bei Ihrer Show so arrangieren und inszenieren, dass davon selbst AC/DC-Boss Angus Young beeindruckt wäre?
Ich habe AC/DC in Berlin gesehen, sie haben eine fette Show abgeliefert! Das wird schwierig, ihn zu beeindrucken. Angus ist eine Rocklegende. Ich versuche es aber auf meine Art und Weise so gut wie möglich zu machen. Ich habe ein anderes Arrangement als Angus Young und ich spiele auf einem anderen Instrument. Ich gucke immer, welches die Möglichkeiten der Geige sind und wie ich es hinbekomme, einem Stück meine Identität zu verleihen.
Entdecken Sie bei Songs wie „Thunderstruck“ Zwischentöne, die andere womöglich gar nicht hören?
Natürlich. Ich habe zum Beispiel kürzlich ein Stück von Roland Kaiser aus der Schlagerwelt gespielt. Mir fiel auf, dass die Harmonien von „Warum hast du nicht Nein gesagt“ relativ einfach sind, was für Schlager auch wunderbar funktioniert. Wenn man es aber mit großem Orchester macht, muss man die Harmonien anpassen.
Hat man auf der Geige genau so viele Ausdrucksmöglichkeiten wie auf der E-Gitarre?
Man hat auf der Geige schon viele, viele Möglichkeiten. Bei meinem letzten Crossover-Album „Rock Revolution“ habe ich die E-Geige bei Stücken wie „Stairway To Heaven“ und „Purple Rain“ mit einbezogen. Die Kombination aus akustischem und elektrischem Spiel gibt mir die Möglichkeit, die klangliche Bandbreite zu vergrößern.
Sie wurden als „Jimi Hendrix der Geige“ bezeichnet. Müssen Sie schmunzeln, wenn Sie so etwas lesen?
Nein. Das sehe ich eher als Kompliment, weil Hendrix ein richtig toller Instrumentalist war. Jeder Vergleich mit einer Musikgröße ist letztendlich ein Ritterschlag. Tausende Gitarristen würden sich freuen, wenn man sie mit Hendrix vergleichen würde.
Haben Sie als Geiger einen ähnlichen Ansatz wie Jimi Hendrix?
Wenn die großen klassischen Orchester und Dirigenten mit mir spielen und ich dann in punkto Virtuosität mit Jimi Hendrix verglichen werde, weil man vielleicht Jascha Heifetz nicht kennt, dann sehe ich das als wahnsinnig großes Kompliment.
Wie viel Improvisation lässt Ihr neues Programm zu?
Wir haben einige Improvisationsanteile, zum Beispiel bei „Purple Rain“ gibt es ein anderthalbminütiges Solo auf der E-Geige. Das spiele ich jeden Abend anders. Wir machen übrigens nicht zu jedem Stück eine visuelle Inszenierung, es soll ja etwas Besonders bleiben. Wir arbeiten natürlich auch mit normalen Live-Bildern. Diese Abwechslung ist mir sehr wichtig. Deswegen möchte ich musikalisch Spannung aufbauen, indem ich immer neue Richtungen einschlage.
Wie lange wird Ihre Tour dauern?
Nach den 19 Konzerten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehen wir im Sommer mit dem Programm nach Osteuropa, Skandinavien, Südamerika, China und Australien. Die gesamte Tour wird etwa anderthalb Jahre dauern.
Wie stecken Sie den Reisestress weg?
Je älter ich werde, desto gelassener gehe ich mit Stress um. Am anspruchsvollsten ist immer die Vorbereitung eines Projekts, weil es mir wahnsinnig wichtig ist, dass jedes einzelne richtig toll wird. Deswegen dauert es auch immer so lange.
Wo finden Sie da noch Zeit zum üben?
Das Üben kommt noch dazu. Ich fahre nachher noch nach Berlin und werde im Auto ein paar Telefoninterviews geben. Anschließend werde ich mit John Haywood über meinen geplanten Musikband sprechen. Ich will alle meine Geigenparts plus den Klavierparts notieren. Damit junge Leute, die Lust auf meine Musik haben, die Arrangements nachspielen können. Heute muss ich noch fünf Stücke am Klavier machen. Und abends werde ich zuhause in Berlin üben. Ich hoffe, ich komme zeitig ins Bett, weil ich morgen früh raus muss. Die Frage ist, ob es mir heute Abend Spaß machen wird, zu üben. Wahrscheinlich eher nicht.
Wie sehr quälen Sie sich?
Es ist doch ganz normal, dass man manchmal keine Lust auf die Arbeit hat. Aber ich weiß, dass es wichtig ist. Wenn ich es heute nicht mache, ärgere ich mich später.
Bereiten Sie sich auf eine Tournee so intensiv vor wie ein Leistungssportler auf einen Wettkampf?
Ja, in etwa so wie ein Fußballer auf eine Bundesligasaison. Man arbeitet immer daran, für sich weitere Märkte zu erobern. Manchmal hoffe ich, dass das Klonen bald möglich sein wird, weil es für mich immer komplizierter wird. (lacht) Aber momentan schaffe ich es, eine anderthalbjährige Tour relativ entspannt zu absolvieren. Ich will eine qualitativ hochwertige Produktion abliefern. Das ist manchmal schon etwas hektisch, aber das gehört zu meinem Beruf dazu.
Wollen Sie Ihrem Ruf als „der größte Geiger Ihrer Generation“ stets gerecht werden?
Das ist wie gesagt ein sehr schönes Lob, aber mein größter Kritiker bin ich selbst. Ich weiß ganz genau, wenn ich gut abliefere oder wenn noch Luft nach oben ist. Mein Anspruch an mich selbst ist sehr, sehr hoch. Das ist ganz wichtig für meinen Beruf.
Waren Sie selbst nach einem Konzert auch schon mal unzufrieden mit sich, dass Sie es im Nachhinein lieber nicht gegeben hätte?
Misslungen ist mir noch nichts so wirklich, dafür ist mir eine gute Vorbereitung viel zu wichtig. Es ist ein bisschen so wie im Fußball: Manchmal spielt man geniale Pässe, aber der Ball will einfach nicht ins Tor. Das sind die Konzerte, wo man wirklich alles gibt. Man kann aber Sachen nicht erzwingen, sondern man muss darauf vertrauen, dass sie im Moment entstehen.
Sie haben sich einmal mit Slash von der Band Guns N’Roses getroffen. Wie war das?
Garrett: Wir haben nie etwas zusammen gemacht, aber wir haben uns in seinem Studio in Los Angeles einmal ganz nett unterhalten. Leute, die aus dem Rock’n’Roll kommen, wissen, wie kompliziert es ist, ein Instrument zu spielen.
Welcher Rockmusiker spielt technisch auf Ihrem Niveau?
Garrett: Man kann Äpfel und Birnen nicht miteinander vergleichen. Technik ist immer nur das Fundament von Musikalität. Entweder man kann spielen oder man kann es nicht. Die guten Leute können alles spielen, und die sehr guten können das alles auch noch fantastisch interpretieren. Das ist der feine Unterschied.
In der Musik macht man vieles aus dem Bauch heraus. Kann man nicht alles proben?
Es fängt mit dem Bauch an. Als Kind entwickelt man einen Instinkt für Musik. Das nenne ich Talent. Dann muss man den Instinkt viele Jahre hinterfragen, weil vieles davon richtig, aber einiges auch falsch ist. Man muss lernen, das zu unterscheiden. Das kann man nur, indem man Musik studiert und sich immer wieder fragt, warum man das alles macht. Wenn man darauf keine Antwort findet, sollte man es nicht weiter machen. Nachdem man in Erfahrung gebracht hat, wie ein Stück aufgebaut ist, wie die Harmonien, ein Dirigent und ein Orchester funktionieren, setzt der Instinkt wieder ein. Instinkt muss der Anfang und das Ende einer Musikerlaufbahn sein.
Machen Sie Musik, weil Sie immer reich und berühmt werden wollten?
Das war nie meine Intention. Ich habe einfach Spaß an der Musik. Vor allem, wenn ich sehe, dass Leute im Publikum lächeln oder vor Rührung weinen. Es gibt nichts Schöneres, als jemanden emotional zu packen. Wir leben für die Momente, in denen wir Stärke oder Schwäche zeigen. Das macht das Leben wirklich interessant.
Lauscht das deutsche Publikum besonders andächtig?
Wenn es bei AC/DC andächtig lauschen würde, würde ich etwas falsch machen! Aber bei Debussy wäre es schön. Selbst ein Publikum, das sich überhaupt nicht mit Klassik auskennt, hat ein Bauchgefühl dafür, wie man sich zu Musik verhält.
Was werden Sie von Beethoven spielen?
Zwei energiegeladene Stücke: Eine Version von „The Fifth“ von meinem Album „Rock Symphonies“ und eine Version von „Scherzo“ von meinem Album „Music“. Beethoven ist für mich ein sehr wichtiger Komponist, weil ich mit seinen Kompositionen die ersten Aufnahmen meines Lebens gemacht habe. Mit 13 habe ich sein Violinkonzert gespielt, vor vier Jahren habe ich es schließlich aufgenommen.
Glauben Sie, dass Beethoven Ihre Arrangements gefallen hätten?
Zumindest der Groove hätte ihm gefallen, weil Beethoven immer unglaublich viel Rhythmus in seiner Musik hatte. Jede seiner Sinfonien hatte eine eigene Identität. Das hat mir immer geholfen, seine Musik rockiger zu arrangieren.
Nehmen Sie Ihre Stradivari Ex A. Busch von 1716 mit auf Tour?
Ich nehme sie mit auf Tour, wenn ich Klassik spiele. Bei Crossover wäre das unnötig, denn ich habe eine Mikrofonierung an der Geige. Da reicht ein sehr gutes Instrument aus.
Brauchen Sie für jede Gelegenheit eine spezielle Geige?
Nein, den Ton verändere ich schon mit der Bogengeschwindigkeit und der Energie, mit der ich spiele. Aber man braucht schon ein gutes Instrument, wenn man in keiner klassischen Halle spielt. Man muss über das 70-köpfige Sinfonieorchester tragen und gehört werden. Dafür braucht man etwas mit Wumms wie eine Stradivari oder eine Guarneri del Gesù.
Kann ein Orchester die Power einer Rockband haben?
Manches von Jean Sibelius ist fast genauso laut wie eine Rockband. (lacht)
Anfänge: David Garrett wurde als David Christian Bongartz am 4. September 1980 in Aachen geboren. Sein Vater Georg Paul Bongartz ist Jurist, Musiklehrer und Geigenauktionator, seine Mutter Dove-Marie Garrett Primaballerina. Bereitsmit 14 sein erstes Album „Violin Sonata“ auf. Mit 15 spielt er mit Claudio Abbado Mozarts Violinkonzerte ein. 2001 wurde er Student der Meisterklassen von Itzhak Perlman und Isaac Stern an der Juilliard School of Music in New York. Nach dem Studium interessierte er sich für die Stilrichtung „Crossover“ – einen Mix aus Klassik und Pop.
Erfolge: Seine Platten „Virtuoso“ (2007), „Encore“ (2008) und „Rock Symphonies“ (2010) verkaufen sich weltweit millionenfach. Garrett erhielt zahlreiche Preise wie den Echo-Klassik, die Goldene Kamera, die Goldene Feder sowie Platin- und Doppel-Platin-Schallplatten. Von 2008 bis 2010 stand er auch als schnellster Geiger der Welt im Guinness-Buch der Rekorde. 2013 spielt er Niccolò Paganini in der Filmbiografie „Der Teufelsgeiger“. 2017 und 2018 legt er nach einem Bandscheibenvorfall eine Auszeit ein. Anschließend veröffentlicht er das Album „Greatest Hits - Unlimited“. David Garrett lebt in Berlin und New York. on