Szenen einer musikalischen Zweckehe: David Garretts "Explosive"-Programm in Freiburg.

David Garrett bei seinem Auftritt in Freiburg Foto: Wolfgang Grabherr
Den Versuch, Klassik mit Pop und Rock zu vermählen, gibt es schon lange. Jon Lord, Keyboarder von Deep Purple mit einem Faible für Johann Sebastian Bach, schrieb bereits 1969 ein klassisches "Concerto for Group and Orchestra". Publikumsträchtiger ist die Idee, Solisten und Formationen beider Genres Pop- und Klassikhits gemeinsam spielen zu lassen und deren Stilmittel zu verbinden. Gerade für klassische Musiker ist das ein Mittel, sich ein größeres Publikum zu erspielen, als es in den Philharmonien dieser Welt möglich ist. Heute Festspielhaus, morgen "Musikantenstadl" oder "Florian Silbereisens Adventsfest" – für solche Grenzgänger war und ist das kein Widerspruch.

Bei den klassisch ausgebildeten Streichern führt im deutschsprachigen Raum eine Linie von Helmut Zacharias über André Rieu zu David Garrett, der am Mittwoch mit seinem Crossoverprogramm "Explosive" in Freiburg aufgetreten ist. Mit virtuosen handwerklichen Fähigkeiten, dem Tanz auf beiden Hochzeiten, Präsenz in Fernsehshows und bunten Blättern – Medienpartner der "Explosive"-Tour ist das Boulevardmagazin Freizeit Revue – hat es der 37-Jährige zum derzeit populärsten deutschen Klassikmusiker gebracht. Die bestuhlte Sick-Arena ist mit 4000 Zuhörern fast ausverkauft, die Show mit der einer Rockband vergleichbar. Laser legen Gittermuster in den Raum, Flammenwerfer spucken Feuer, Lichtfinger der an drei konzentrischen Achtecken angebrachten Scheinwerfer greifen nach der Bühne. Die steht mitten in der Halle und ist von überall einsehbar, darüber hängen riesige Videowände.
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Der Auftakt ist standesgemäß. Erst reiht sich die Neue Philharmonie Frankfurt neben der Bühne auf, ein Orchester mit Referenzen von José Carreras bis zu den Böhsen Onkelz. Danach kommt die Band auf die Bühne. Nun ist alles bereit. Garrett geht, Geige spielend, die Tribüne hinunter, durch die Reihen, noch ein paar Treppenstufen bis zur Bühne. Als er oben ist, fängt sie an, sich wie ein Karussell zu drehen. Willkommen in der Manege.

Was folgt, sind netto deutlich über zwei Stunden Musik, um die 30 begeistert aufgenommene Stücke. Der erste Satz aus Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 ist dabei, die Filmsongs "Ghostbusters" und "Alexis Sorbas" – zu dem das Deutsche Fernsehballetts in bester Showtreppenmanier Sirtaki tanzt – Chicagos Softrock "You’re My Inspiration", HipHop von Eminem, Mainstreamtechno oder Stevie Wonders Funkklassiker "Superstition", dazu eigene Kompositionen Garretts.

Das Prinzip der Arrangements für Band, Orchester, Sologeiger und Gastsängerin Edita Abdieski ist immer dasselbe: Viel hilft viel. Leise Töne sind selten. Bei Coldplays Ballade "Fix You" nimmt sich Garrett Zeit, hält inne, lässt der Melancholie Raum, sich zu entfalten – bis die Begleiter wieder mit mit Macht einsetzen. Wie oft lebt die Kreuzung aus sinfonischer Klassik und Rockgitarren, Bass, Schlagzeug und Keyboards auch hier von der überwältigenden Wirkung. Kraft trifft auf Kraft und potenziert sich. Das Ergebnis ist Wucht – effektvoll, süffig und eingängig, zumal Garrett nur Gassenhauer spielt.

Das Grundproblem bleibt aber auch an diesem Abend ungelöst. Crossover ist eine Zweckehe und keine Liebesheirat. Stehen die klassischen Parts im Vordergrund, wirkt der Rockbeat hölzern. Andersrum decken Streicher Ecken und Kanten zu. Ihr Wohlklang ist der große Gleichmacher. Led Zeppelins donnerndes "Kashmir", Paul McCartneys poppiges "Live And Let Die", Rage Against The Machines ultrahartes "Killing In The Name of" – am Ende klingt alles rund und harmonisch. Daran kann auch Garrett, der meist die Gesangslinie der Originale spielt, trotz seiner flitzfingerigen Virtuosität nichts ändern. Eine Violine kommt an die wütende, schneidende Stimme eines Rocksängers oder einen Funk-Groove nicht heran. Diesen Drive erreicht Garrett nur, wenn er wie bei "Purple Rain" von Prince und dem Duell mit seinem Gitarristen Franck van der Heijden eine E-Geige spielt. Der Rest ist perfekt inszenierte, populäre Unterhaltung. Nicht mehr, nicht weniger.