David Garrett und der brave Vivaldi beim Kissinger Sommer
Kissinger Sommer
автор: Ralph Heringlehner
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David Garrett wird beim Kissinger Sommer gefeiert wie der Popstar, der er ist. So ein Popstar könnte sich auch ein paar Extravaganzen leisten. Tut er aber nicht. Seine „Vier Jahreszeiten“ im ausverkauften Max-Littmann-Saal des Regentenbaus sind ausreichend virtuos und angemessen musikalisch. Aber doch recht brav. Einer, der auch mit Crossover-Projekten Erfolg hat, hätte Antonio Vivaldis Hit ruhig ein wenig rocken können . . .
So etwas ist möglich, ohne dass dadurch die hehre Kunst der Barock-Interpretation verraten würde. Wer schon mal gehört hat, wie zum Beispiel Giuliano Carmignola frech und doch trennscharf Skalen hinauf- und hinabrauscht, wie das Venice Baroque Orchestra im ersten Satz des Winters klirrende Kälte und schneidenden Wind beinahe spürbar macht, weiß, was möglich wäre. Natürlich: Das sind Spezialisten, die mit historischem Material spielen, und alte Streichinstrumente haben mehr Nuancen drauf. Aber auch mit einer – modernisierten – Stradivari sind mehr Klangfarben drin (was Anne-Sophie Mutter zeigt).
Immer wieder Vibrato
Garretts „Vier Jahreszeiten“ sind nicht schlecht. Aber halt ein bisschen ereignislos. Das Tempo ist eher gemäßigt. Statt auf variable Tonfärbung setzt der 32-Jährige immer wieder auf Vibrato. Der anfangs wunderbar schlanke Ton wird im Verlauf der vier Konzerte immer voluminöser: Garrett ist auf der Suche nach Ausdrucksstärke. Die bei Barockmusik zu finden, ohne in Karajan'sche Opulenz zu verfallen, ist halt nicht einfach.Wie kaum ein anderer der Zunft überbrückt der Geiger, der sein erstes Konzert als Neunjähriger beim Kissinger Sommer gab, die Distanz zwischen Podium und Publikum. Garrett greift zum Mikrofon, begrüßt seine Fans und trägt die Sonette vor, die Vivaldi zum Thema „Vier Jahreszeiten“ geschrieben hat. Gute Idee. Wird viel zu selten gemacht.
Die Tschechische Philharmonie in passend kleiner Besetzung (ein Bass, drei Cellos . . . ) gibt dem Solisten ein zuverlässiges Fundament, Jiøi Bìlohlávek dirigiert ohne Stab, formt die Musik quasi mit den Händen. Das Hauptthema des ersten „Sommer“-Satzes wird eigenwillig abgehackt phrasiert. Geschmackssache.
Nach der Pause stocken die Tschechen auf, und Bìlohlávek greift zum Stab. Die D-Dur-Sinfonie von Jan Václav Voøíèek (1791 bis 1825) fristet ihr Dasein auf dem Speicher vergessener Werke. Zu Unrecht. Die Komposition ist einfallsreich, reicht gar an Beethoven'sche Qualitäten heran.